Fragmentierung und Überleben (2012/1)
Nach der kulturellen Wende der 80er und 90er Jahre, die den Geisteswissenschaften ihre stillen normativen Voraussetzungen im Sinne einer unbedachten Präferenz für den europäisch-amerikanischen Weg des „weißen fleischessenden Mannes“ bewusst gemacht haben, finden sich diese heute in einer gewissen Isolation von den harten sozialen Problemen unserer Gegenwartsgesellschaft wieder. Man ist diskursanalytisch höchst reflexiv, aber hat den Kontakt zu den Lebensproblemen der Leute verloren, die plötzlich „Nein“ zu Europa sagen, sich zu ursprungsmythischen Volksbegriffen flüchten oder sich überaus wechselhaft in ihren politischen Optionen verhalten. Mit großer Überraschtheit entdeckt man die „Unterschichten“ oder „Verworfenes Leben“ (Zygmunt Bauman) in einem gesellschaftlichen Umbruchsprozess, der scheinbar fortwährend die Richtung verändert und Kontinuität nur in seiner anhaltenden Dynamik aufweist. Nachdem sich die Geisteswissenschaften über die Bedeutung der „Kultur“ aufgeklärt haben, ist die „Gesellschaft“ wieder zu einem unbekannten Gegenstand geworden. Die Menschen haben Angst vor plötzlichem Statusverlust und sehen sich mehr als Opfer unbeherrschbarer anonymer Kräfte denn als Akteure in einem nachvollziehbaren sozialen Wandel. Vor allem aber fühlen sich bestimmte Teile der Bevölkerung abgehängt vom Lebenszuschnitt der „Mehrheitsklasse“ (Ralf Dahrendorf) und aufs Überleben verwiesen.
Stichworte: Fragmentierung, Überleben, Krise, Neoliberalismus, Prekariat
Erschienen: 2012
Inhalt
- Das Wittenberge-Projekt
- Transnationale Märkte zwischen Überlebensökonomie und neuem Kosmopolitismus
- Fragmentierung – Realität der Globalisierung
- Große Welt – Kleine Welt
- Überleben in der Peripherie
- Victoria by night mit Herrn XXL
- Noch einmal: Die Verzahnung von workfare und prisonfare
- Stalins Plan zur Vernichtung eines Volkes
- Die „Deutsche Operation des NKWD“ in Moskau und im Moskauer Gebiet 1936-1941
- Archivforschungen zum „Großen Terror“
- Die USA im Wahlkampfjahr 2012 – eine gespaltene Gesellschaft?
- Minderheiten im englischen Sport
- Deutschland, dein Sport
- Gerechtigkeitstheorie als Gesellschaftsanalyse
- Claus Leggewie, zusammen mit Anne Lang: Der Kampf um die Europäische Erinnerung.
- Sighard Neckel, Ana Mijić, Christian von Scheve, Monica Titton (Hg.): Sternstunden der Soziologie
- Stephan Krüger: Kritik der Politischen Ökonomie und Kapitalismusanalyse
- Karolina Stegemann: Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen.
- Arno Münster: André Gorz oder der schwierige Sozialismus.